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Ich habe eigentlich gar kein Credo.
Ich lebe einfach und
filme.

Lothar Lambert im Gespräch mit Matthias Reichelt

 

Im Herbst 2008 wird dein dreiunddreißigster Film „Im tiefen Tal der Therapierten“ Premiere im Berliner Brotfabrikkino haben, mit dem du seit längerem zusammenarbeitest.

Das ist quasi ein kommunales Kino und auf die Einspielergebnisse nicht ganz so angewiesen wie ein privates Filmtheater. Da sind dann eventuelle Misserfolge nicht so peinlich. Zwar liegt die Brotfabrik an der Peripherie und es werden keine Zuschauerrekorde gebrochen, aber das ist mir egal.

Thematisch handelt es sich bei deinem neuen Werk wieder um einen typischen LoLa-Film. Einsamkeit, Altern, ungeklärte Mutterbindung, Liebesentzug, Inzest, sexuelle Identität. Andere Regisseure hätten Angst vor Überfrachtung. Du nicht.

Also ich habe eher Angst, dass es zu wenig ist. Die Handlung schreitet ja nicht fort und steigert sich. Ich habe durch meine episodische Art zu drehen das Problem der Zusammensetzung beim Schneiden. Aber das ist der kreativste Moment, der auch am meisten Spaß macht, weil dann erst die Geschichte entsteht. Beim neuen Film ist mir aufgefallen, dass ich einige Figuren unterwegs verliere und andere erst in der Mitte oder später auftauchen. Das ist ganz reizvoll und mal was Neues. Aber ich hoffe, das verwirrt die Zuschauer nicht oder macht sie sauer.

Mich hat das überhaupt nicht gestört, die Geschichten bleiben bei dir ja oft unabgeschlossen.

Ja, aber manchmal habe ich doch eine Hauptfigur, die von Anfang bis Ende begleitet wird, wie in „Aus dem Tagebuch eines Sex-Moppels“ (2004). Dann werden alle anderen zu Nebenrollen. Im neuen Film kann man ja gar nicht von Neben- und Hauptrollen sprechen, weil alle ziemlich gleichberechtigt sind. 

 

„Im tiefen Tal der Therapierten“: Thomas Zetzmann, Dieter Rita Scholl

 

Zwei Künstler hast du 2007 in deinem Dokumentarfilm „As Showtime Goes by“ portraitiert. Den Schauspieler und Drag Queen Dieter Rita Scholl ...

Scholl kenne ich schon länger. Es gibt Leute wie ihn, die mehrfach signalisiert haben, mitmachen zu wollen, und dann habe ich sie immer wieder aus dem Kopf verloren, weil sie nicht zu meinem engeren Freundeskreis gehören. Der hat immer die erste Option, weil wir zusammen die rudimentäre Handlung ausklüngeln. Es reizt mich, Facetten von diversen Privatleben mit einzubauen. Viele Leute haben Lust, bei mir mitzuspielen, auch wenn damit kein Ruhm zu gewinnen ist. Bei den „Kleinkünstlern“ aus meiner Doku waren einige dabei, die mich in ihrer Ausstrahlung so beeindruckten und durch ihre Auftritte so überzeugten, dass ich sie einfach dabei haben musste. 

So auch die Tänzerin und Sängerin Magy da Silva?

Die hatte schon einmal eine kleine Rolle im „Tagebuch eines Sexmoppels“, wo sie die Ersatztherapeutin spielt. Die ist rumgekommen und hat viel erlebt. Sie ist auch Alleinunterhalterin, da ist es klar, dass so ein Mensch keine Scheu hat, vor der Kamera auszupacken – im übertragenen und im wörtlichen Sinn. Glück für mich und meine Filme.

Ist es das bestehende Vertrauen, das dich immer mit denselben Leuten, die auch als Lambert-Familie bezeichnet werden, arbeiten lässt?

Berufsschauspieler und ihre Profistandards nerven mich oft. Filmen ist ja nach wie vor ein Hobby für mich und kein Beruf. Ich bin gelernter Journalist und war Redakteur beim „Abend“, wo ich aber irgendwann rausgeschmissen wurde. Dann habe ich frei gearbeitet und unter verschiedenen Pseudonymen Film- und Fernsehkritiken für alle möglichen Zeitungen in Berlin wie die „Welt“, den „Tagesspiegel“, die „taz“ und sogar die „Wahrheit“, die Parteizeitung der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins (SEW), dem West-Berliner SED-Ableger, geschrieben, wo witzigerweise manchmal fast dieselben Texte von mir erschienen sind wie bei Springer. Zurück zum Filmen. Es muss hauptsächlich Spaß machen, und mit guten Freunden gibt es nun mal am meisten zum Lachen beim Drehen. 

 

„Family“: Erika Rabau, Lothar Lambert, Albert Kittler 1989 beim Dreh von „Du Elvis, ich Monroe“

 

Den neuen Film hast du ja wie deine letzten mit DV-Kamera gedreht und am PC geschnitten. Das kommt deinem Low Budget sehr entgegen?

Sechzehn-Millimeter-Film könnte ich mir gar nicht mehr leisten. Aber digital geht es, denn mein Kameramann Albert Kittler hat den Computerschnittplatz und macht mir einen bezahlbaren Preis. Die Schauspieler treten ja alle umsonst auf.

Du hast ja nie Filmregie oder ähnliches studiert?

Ich wurde bei der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB) abgelehnt, genauso wie Rosa von Praunheim und auch Rainer Werner Fassbinder. Ich wurde nicht mal für die Zulassungsprüfung ausgewählt.

Deine künstlerische „Handschrift“, die harten Schnitte und kurzen Sequenzen werden schon mal als professioneller Dilettantismus beschrieben.

... was man gemeinhin „Underground“ nennt ...

Machst du da aus der Not eine Tugend oder meinst du, dass die Filme damit authentischer und näher am wirklichen Leben sind?

Im Grunde wollte ich nie dieses Außenseiter-Markenzeichen haben. Diese Kleinfilme verstand ich als Visitenkarte, damit mir mal jemand einen Auftrag für die Regie eines „Tatorts“ oder so gibt, wie das auch oft in den USA funktioniert. Jetzt wäre mir das wahrscheinlich zu anstrengend, aber am Anfang meiner sogenannten Karriere hätte mir das schon gefallen. Aber ich bin halt nie „entdeckt“ worden und habe auf dem selben Level weiter gewurschtelt. Als einer meiner Darsteller auch als Produzent tätig war und mich mit seinen Verbindungen doch noch zum Fernsehen brachte, bekam ich ein paar Aufträge, musste aber auch braver werden. Parallel habe ich weiter meine Filme in Eigenverantwortung gemacht, weil ich gemerkt habe, dass die Zwänge, die entstehen, wenn richtig Geld fließt, nichts für mich sind. Die Darsteller wurden dank Bezahlung nicht besser, sondern nur anspruchsvoller, mäkeliger und schwierig zu bändigen. 

Du hast als Regisseur nicht immer allein gearbeitet?

Bei den ersten Filmen hatte ich einen Partner, Wolfram Zobus, der wie ich Theaterwissenschaften und Germanistik studierte und im selben Haus im Wedding wohnte. Ich hatte anfangs immer Lust, selber vor der Kamera zu stehen, während er gedreht hat. Die ersten drei Filme und „1 Berlin-Harlem“ (1974), der sich in der Sammlung des Museum of Modern Art in New York City befindet, waren auch geprägt von seinem Verständnis von Film. Es musste gefickt werden. Als er dann zum Fernsehen ging und mich nicht mitgenommen hat, war mein erster eigener Film „Faux Pas de deux“ (1976) sehr brav und ästhetisch. Ich habe mich dann erst langsam wieder dem früheren Stil angenähert, weil ich eben auch Darsteller hatte, denen es in den achtziger Jahren nichts ausmachte, sich nackt vor der Kamera zu zeigen. Man musste kaum Überzeugungsarbeit leisten, wie das heute der Fall ist. Das war einfach ein anderes Lebensgefühl. Heute könnte ich solche Filme auch gar nicht mehr machen. Ich wundere mich selber, wieviel Sex da drin war. 

 

„Die Alptraumfrau“ (1980): Renate Soleymany, Ulrike S. (unten), Stefan Menche  

 

Würdest du dir heute nicht mehr erlauben, so freizügige Sexszenen zu bringen?

Das hat mit erlauben nichts zu tun. Das Bedürfnis ist gar nicht mehr da, weil die ganzen Zeitumstände nicht mehr existieren. Und dann bin ich auch älter und Sex spielt nicht mehr so eine entscheidende Rolle im Leben. Mit mir sind auch die Darsteller älter geworden, und es rücken andere Themen in den Vordergrund. Angst vor Krankheit, letztes Aufbäumen und noch mal intensiv leben wollen oder Trennungsschmerz. Eben alles, was einen auch privat beschäftigt.

Ein Thema, das in deinen Filmen immer wieder auftaucht, ist das Scheitern. Scheitern am Leben, aber dennoch den Mut finden, weiterzuleben. Du zeigst die Figuren mit Empathie, aber auch mit Humor und Gelassenheit.

Es gibt Filme bei mir, die haben ein Happy End, und andere enden traurig. Ich bin nun kein Vertreter von bedingungslosem Optimismus, aber manchmal schreien bestimmte tragische Konstellationen oder persönliche Lebensläufe danach, mit einem positiven Ende belohnt zu werden. Wie zum Beispiel bei der „Alptraumfrau“ (1980), die ein negatives Erlebnis nach dem anderen hat und dann mit letzter Kraft ihr Leben ändert, zur Punksängerin wird und „This is My Life“ herausbrüllt.

Dein Dokumentarfilm „As Showtime Goes by“ sollte unbedingt im öffentlichen Fernsehen gezeigt werden. Gibt es einen Sendetermin?

Ehrlich gesagt habe ich keine Anstrengung unternommen, ihn zu verkaufen. Und das ist generell meine Krux, weil ich kein Geschäftsmann bin und auch oft versäumt habe, meine Filme richtig auszuwerten. Ich habe das eher dem Zufall überlassen. Wenn ein Film fertig war und die Kritiken erschienen, teilweise sehr erfreuliche, hat mir das für meine Selbstbestätigung erst einmal gereicht. Dann habe ich lieber wieder etwas Neues begonnen. Früher wäre eine kommerzielle Verwertung leichter gewesen, weil im Fernsehen und im Kino die Nischen für solche Art von Filmen heute viel kleiner sind.

In „As Showtime Goes by“ stellst du Personen vor, die ihr Ziel nicht erreicht haben.

Das ist so eine Seelenverwandtschaft, die sind so wie ich.

Darauf wollte ich hinaus. Die biografische Nähe als Impuls, um den Film zu machen?

Erfolgreiche Leute interessieren mich generell nicht so besonders. Die haben ihr Ding durchgezogen. Zwischen denen und mir gibt es nur wenige Gemeinsamkeiten. Leute, die kämpfen, die faszinieren mich. Aber letzten Endes ist jeder Kampf im Leben zum Scheitern verurteilt, weil er ja immer mit Krankheit und Tod endet. Die Sinnfrage stellt sich für jeden irgendwann, auch für die Erfolgreichen. Aber die, die ihr Leben lang kämpfen, sind natürlich viel interessanter als diejenigen, die sich nur noch ausruhen auf ihrem Erfolg.

Im neuesten Film „Im tiefen Tal der Therapierten“ sagt der erfolglose Künstler in einer deprimierenden Situation: „Leben ist Film, Film ist Leben.“

Das würde ich auch unterschreiben. Das war kein vorgegebener Text. Die Figur Schädelwaldt, das ist in Wirklichkeit auch der Künstlername des Malers Alexander K. Der ist in diesem Film am dichtesten an seiner eigenen Biografie. Er hatte den größten Freiraum, seine Meinung über Mütter, Kunst und Politik zu äußern. Er war sehr ergiebig. Andere Personen brauchen viel mehr Führung und Vorgaben textlicher Art. Das mache ich auch gerne, aber ich bin begeistert, wenn jemand das von sich aus leistet und sich nicht scheut, Blößen zu zeigen.

Schädelwaldt fordert Geld von den Eltern, um seine brotlose Kunst weiter zu betreiben, weil er für diese Gesellschaft nicht arbeiten möchte. Er hält ihnen vor, sie hätten Andreas Baader gut gefunden und nun ermahnten sie ihn dazu, selber Geld zu verdienen.

Das ist auch privat seine Ansicht. Ich hatte keine Achtundsechziger-Eltern, war eher selber ein Achtundsechziger, der aber nicht mitgemacht hat. Alle meine Freunde sind demonstrieren gegangen, und ich habe nur mein Ding durchgezogen.  

 

Plakat zur Erstaufführung 1973

 

Deine Filme empfinde ich aber anders. Sie sind doch Ausdruck der Libertinage, des Spiels mit der sexuellen Identität, dem Experimentieren. Dies hat doch alles seine Wurzeln in jener Zeit.

Das mag sein. Aber es sind Themen, die mit meinen Lebenserfahrungen zu tun haben und mit meinem Umkreis. Freunde, die links waren ... das war ja auch meine Lebensrealität, mit der ich mich auseinandersetzen musste. Sie mussten mich akzeptieren, umgekehrt aber ich auch sie. Und ich war politisch indifferent, zumindest im Verhältnis zu dem, was damals angesagt war. Das sind dann halt kleine Themen in meinen Filmen, ohne dass ich mich nun einer bestimmten Programmatik unterworfen habe. Das Leben ist relativ ungefiltert in meine Filme eingedrungen. Als Punk modern war, habe ich keinen „Punkfilm“ gemacht, sondern höchstens Filme mit Punks unter anderem. Ich habe nicht irgendwelche Genres bedient, sondern bin immer diesem „ironischen Realismus“ – wie auch immer man das nennen möchte – treu geblieben.

Ein guter Begriff für deine Arbeit. Selbst in deinen traurigen Filmen ist immer ein Funke Humor spürbar. Ist das vielleicht so eine Art Credo für dich?

Ich habe eigentlich gar kein Credo. Ich lebe einfach und filme.

Aber dazu gehört ja auch Kraft. Sich treu zu bleiben und fast vierzig Jahre lang Filme zu machen, für die es nur eine kleine, internationale Fangemeinde gibt, die aber kaum erfolgreich waren und bis auf wenige Ausnahmen nicht im Fernsehen gezeigt wurden. Du scheinst also darüber nicht verbittert zu sein.

Nein. Wahrscheinlich hat das mit meinem Elternhaus zu tun, da ich von meiner Mutter zumindest soviel Liebe mitbekommen habe, dass ich eher auf die Abwehr von Gefühlen geeicht bin. Dadurch kann ich ganz gut damit umgehen, wenn ich Signale erhalte, dass ich nicht geliebt bin. Im Gegensatz zu jemandem, der da von Kindesbeinen auf ein Defizit hatte. Ich wollte Spaß haben, und das war mir wichtiger als Erfolg. Ich habe meine Nächte durchgetanzt und nicht an die Zukunft gedacht. Die Filme waren Teil dieses intensiven Lebens. Als Gewohnheitstier mache ich das auch weiterhin so. Als in den neunziger Jahren die Sexualität nachließ, die mich auch viel Zeit gekostet hatte, habe ich in meinem Atelier in Moabit, wo wir auch öfter drehen, angefangen zu malen. Ich bin überproduktiv gewesen und habe in kürzester Zeit fast zweitausend Bilder gefertigt, manchmal zehn am Tag! Auch da habe ich nur zaghafte Versuche unternommen, mal in Cafés auszustellen. Ich bin zufrieden, dass ich relativ gesund und nicht einsam bin und mich mit meinen Freunden und Freundinnen treffen kann. Ich bin keiner, der darauf geeicht ist, eine Zweierbeziehung das ganze Leben lang durchzuziehen. Ich habe auch nie mit einem Partner zusammengewohnt. Ich weiß nicht, ob man das als Manko bezeichnen soll, wenn man sein Leben alleine durchzieht. Ich konnte es mir jedenfalls nie anders vorstellen. 

 

Plakat von Sigurd Wendland

 

Auf einem Filmplakat des Berliner Realisten Sigurd Wendland für deinen Film „Verbieten verboten“ (1987) wird ein abgewandeltes Motto zitiert: „Ist der Ruf erst ruiniert, filmt sich’s völlig ungeniert!“ Ist das eine Replik auf deine Kritiker?

Ja, das stammt von mir. Jahrelang wurden ja meine Filme von den bürgerlichen Kritikern als „schmuddelig“ bezeichnet. „Unterleibsfilmer“ und derartige Prädikate erhielt ich auch. Es gab aber auch vermeintlich schmeichelhafte wie „poor man’s Fassbinder“ in Amerika. Die negativen Urteile beziehen sich überwiegend auf die Zeit, als mein Werk als „Underground“ geführt wurde und ich ja auch meist in Schwarzweiß gedreht habe, wobei die Sexualität nicht geschönt rüberkam, sondern eher als abstoßend empfunden wurde.

Nach welchen Kriterien entscheidest du, neben Buch, Regie und Schnitt auch die Kamera selbst zu machen?

Bei dem letzten Dokumentarfilm „As Showtime Goes by“ zum Beispiel stammen alle Schwarzweißaufnahmen von mir, die ich mit meiner etwas primitiveren Kamera gemacht habe, während die Farbaufnahmen von Albert Kittler stammten. Wenn er keine Zeit hatte, habe ich alleine mit meiner Kamera gearbeitet. Bei manchen Spielfilmen, die ich noch auf sechzehn Millimeter gedreht habe, konnte ich keinen Ton aufzeichnen, weil die Kamera so laut gerattert hat. Da musste ich die Darsteller den Text sprechen lassen, um ihn später drunterzulegen. Wenn ich aber Direktton-Aufzeichnung wollte, blieb mir nichts anderes übrig, als mit einem Kameramann zu arbeiten, und das war eben der Albert Kittler, den ich eigentlich als Musiker kennengelernt hatte. Er hat auch die Musik für Filme, die ich fürs Fernsehen gedreht habe, komponiert. Seine Band hieß „Brutto/Netto“ mit dem Sänger Bruno Ferrari, der in meinem Film „Die Alptraumfrau“ mit einem Song auftrat. Als Bruno Ferrari dann als Solist einen Plattenvertrag bekam, hat sich die Band aufgelöst, und Albert Kittler hat als Autodidakt die Kamera bedient. Drehen ist für mich Stress. Manchmal habe ich einfach keine Lust zu einer eventuellen Überforderung durch Schauspielerführung und Kameraarbeit gleichzeitig.

In der Dokumentation „As Showtime Goes by“ bittest du Portraitierte einen Satz zu wiederholen, lässt aber beide Szenen im Film, nebst deinen Regieanweisungen. Damit fügst du noch eine Filmebene hinzu. Warum?

Ich finde es ganz wichtig, dass man ab und zu daran erinnert, dass Dokumentarfilme auch inszeniert sind. Man sollte nicht 1:1 glauben, was man da sieht. Außerdem ist es auch ein ulkiger Moment, wenn die Akteure versuchen, ihr Bestes zu geben.

Kam niemand auf die Idee, mal in einem dritten Programm der ARD eine Reihe deiner Filme zu zeigen, oder im „Kleinen Fernsehspiel“ des ZDF?

Nein, das „Kleine Fernsehspiel“ hat mich nie berücksichtigt. Anfangs hatte ich dort keine Chance, und als ich bekannter war, bekam ich die Auskunft, sie wollten keine Plattform für einen Undergroundstar bieten. Es gab mal kleine Reihen im SFB, und 3sat zeigte Filme von mir und Dagmar Beiersdorf, an denen ich als Schauspieler beteiligt war. Manchmal werde ich von jungen Leuten angesprochen. Ich habe da offenbar einen Kultstatus, von dem ich wenig mitbekomme. Die reichen sich wohl untereinander Videos oder DVDs weiter. Aber ich bin einfach zufrieden, wenn aus meiner näheren Umgebung gute Reaktionen kommen und ich selber ein gutes Gefühl habe. Mir macht die Kreativität des Produktionsprozesses Freude. Das ist für mich die Hauptsache.

Du machst nach wie vor einen Film pro Jahr?

Die Herstellung zieht sich hin. Die Leute bekommen ja kein Geld und haben andere Sachen zu tun. Die haben nicht immer Zeit für mich. Früher, als wir als jüngere Clique öfter zusammen waren, ging das schneller. Es gibt immer wieder mehrere Tage dazwischen, an denen ich nur male oder im Café rumsitze. Es drängt mich keiner, wozu soll ich mich und andere unter Druck setzen? 

 

„In Haßliebe Lola“: Lothar Lambert

 

Schreibst du richtige Drehbücher?

Nein. Ich habe ein paarmal, bei Aufträgen vom Fernsehen und zusammen mit Dagmar Beiersdorf, Drehbücher verfasst unter anderem für „In Hassliebe Lola“ (1995), wo ich einen alternden Transvestiten spielte und der übrigens sogar im Ersten Programm gezeigt wurde. Aber wenn keine Fördergelder locken, ist mir das zu anstrengend.

Wen bewunderst und verehrst du als Regisseur?

Ich war ein großer Fan von Robert Aldrich. Sonst schiele ich weniger nach Vorbildern. Ich war mal so naiv und habe ihn bei den Berliner Filmfestspielen gefragt, ob ich nicht bei ihm Regieassistenz machen könnte. Er hat dann ganz mitleidig entgegnet: „Das macht schon mein Sohn.“ Heute weiß ich, dass der Assistent einen schwereren Job hat als Regisseur und Drehbuchautor zusammen.

In deinem Film „Nachtvorstellungen“ von 1977 erzählst du die Geschichte eines Mannes, von dir gespielt, der in einer Hetero-Beziehung lebt und sein Coming out hat. Wann hattest du dein Coming out?

Das weiß ich gar nicht mehr, da das so lange her ist. Das war keine Erleuchtung. Von ängstlichen Vermutungen bis zu einem entschlossenen Start. Ich bat einen Schulfreund, von dem ich wusste, dass er schwul ist, mich mit in ein einschlägiges Lokal zu nehmen.

War das noch in der Schule?

Kurz danach. Gleich nach meinem Abitur war ich nach England und Irland gereist, und in Irland hat mich – ich war neunzehn – ein sechzehnjähriger kleiner Ire verführt. Und da wusste ich dann, was Sache ist. Als ich das nächste Jahr wieder nach Irland kam, war ich sexuell schon viel schlauer als der nunmehr Siebzehnjährige und konnte ihm einiges beibringen. Das war 1965, da hab ich dann auch Swinging London unsicher gemacht.

War das schwule Leben in Berlin damals schwierig?

Da gab es ein Schwulenlokal neben dem anderen. Viel mehr als heute, weil alles noch stärker ghettoisiert war. Mein Leben zu jener Zeit bestand hauptsächlich aus Tanzen. Ich bin dann zwischen dem Big Apple und den schwulen Discos immer hin und her. Dann habe ich auch schnell Freunde gehabt, also Affären, oder wie man das nennen will. Ich war zwar auf meine Art treu, aber nie einem alleine.

Wie hast du den Einschnitt mit AIDS Anfang der achtziger Jahre erlebt?

Ich habe vor lauter Schreck Bluthochdruck entwickelt, an dem ich bis heute laboriere.

Du hast Glück gehabt und dich nicht infiziert?

Ich habe mich nie testen lassen. Ich war zu feige. Aber da ich sowieso ein ängstlicher Mensch bin, war das nur eine Angst mehr, die sich in meine Persönlichkeitsstruktur eingereiht hat. Ich habe aber öfter gedacht: Ausgerechnet wenn ich jung und lebenshungrig bin, passiert so etwas. Die Jahrhunderte davor gab es andere Restriktionen, die verhindert haben, dass man seine Sexualität ausagieren konnte. Und als es bei uns begann, relativ frei zu werden, kam diese Epidemie. Das hat eine gewisse Tragik, aber auch eine Ironie des Schicksals.

Wie empfandest du die Outing-Kampagne von Rosa von Praunheim, um mehr Akzeptanz für Schwule zu organisieren?

Ich empfand das als anmaßend. Vor allem wenn man an Hape Kerkeling denkt, der jahrelang seine Unbefangenheit und seinen Humor verloren hat. Der musste sich erst wieder mühsam aus diesem Schock rausarbeiten. Der alte Biolek hat das ja gut weggesteckt, aber davon kann man nicht ausgehen.

Wenn das für den Einzelnen auch schmerzhaft war, so hat Praunheim doch im Rückblick einiges dadurch ins Rollen gebracht. In deinen Filmen ist das Schwulsein ziemlich unideologisch dargestellt. Jeder soll nach seiner Façon glücklich werden. Das hat eine humorvolle Leichtigkeit.

Ich sehe überhaupt nicht ein, was an diesem Thema ideologisch sein soll. Jemanden zu irgend etwas zu zwingen, hat noch nie etwas gebracht. Ich habe mich nie in dem Sinne wie Praunheim als schwulen Filmregisseur verstanden, sondern einfach als Filmemacher, der mehr oder weniger zufällig, glücklich oder unglücklich, schwul ist. Und darum steht das Thema auch nicht unbedingt im Mittelpunkt meiner Filme, sondern ist eines unter vielen. Inwieweit meine Ästhetik, meine Themen, oder mein Blick auf Frauen von meinem Schwulsein geprägt sind, steht auf einem anderen Blatt. Auf jeden Fall will ich damit keine Politik machen. Durch den Bluthochdruck bin ich auf die Einnahme von Betablockern angewiesen und die haben meine Libido im Laufe der Zeit auf Null gefahren. Dadurch bin ich jetzt in einem Zustand, in dem mich Sex so wenig interessiert, dass ich langsam sogar das Gefühl verliere, überhaupt homosexuell zu sein. 

 

Lothar Lambert 2008

 

Das Gespräch wurde im Mai und September 2008 in Berlin geführt und auszugsweise in den Blättern „Junge Welt“ und „Siegessäule“ abgedruckt.

© 2008 by Matthias Reichelt

 

Noch ein Gespräch mit Lothar Lambert.