Ich finde Nacktheit unattraktiv und anti-erotisch.
Lothar Lambert im Gespräch mit Jan Gympel
über Sex und Tanz, Schreiben und Ängste,
Entwicklung und das Desinteresse an Reflexion
Aus heutiger Sicht gehörst du ja einer gesegneten Generation an: Ihr habt stetig wachsenden Wohlstand erlebt, einen enormen gesellschaftlichen Um- und Aufbruch samt „sexueller Revolution“, konntet euch noch der Illusion hingeben, die Welt verbessern zu können…
Aber 1984, als ich jung war, kam doch Aids auf! Da war ich zwar vierzig, aber das waren meine sexuell intensivsten Jahre. Ich war ein Spätzünder. Da hab ich immer gedacht: Ausgerechnet, wenn ich lebe, muß es sowas geben!
In der Regel erreicht man den Höhepunkt der sexuellen Aktivität in seinen Zwanzigern.
Aber nicht, wenn du Moralvorstellungen zu überwinden hast. Dann dauert das. Am Anfang hab ich nie mitgemacht, wenn meine Freunde sich so promisk verhalten haben.
Das ist ja auch vierzig bis fünfzig Jahre her, und da waren die Verhältnisse noch andere. Hat dich beeindruckt, daß schwuler Sex bis zu deinem fünfundzwanzigsten Lebensjahr verboten war, oder spielten da eher allgemeine Moralvorstellungen eine Rolle?
Wenn du jung bist, bist du auf allen Gebieten unsicher. Bei mir war das jedenfalls so. Ich bin jahrelang oft rot geworden, ohne Grund. Da war Sexualität ein besonders prekärer Bereich, hatte eine so große Sonderstellung nun aber auch wieder nicht. Doch das Aufkommen von Aids war wie eine plötzliche Bremse für die Selbstentwicklung. Gerade als man sich durchgerungen hatte, die Moral abzuschütteln, mußte eine neue Angst hinzukommen, eine Todesangst, die ja noch viel schlimmer ist als alle anderen Ängste, die man vorher mit der Sexualität und insbesondere mit der Homosexualität verbunden hatte.
Deine Filme waren also auch Teil deiner Selbsttherapie? Sie vermitteln ja eher den Eindruck, daß große Schamprobleme nicht existierten in den siebziger Jahren.
Die Figuren entsprangen ja nicht nur meiner Person. Vielleicht hab ich auch Filme gemacht als Teil meiner Selbstbefreiung. Aber das Thema Aids hab ich auch da höchst ungern angefaßt, weil ich es zu schrecklich fand, mich damit zu beschäftigen.
Noch einmal zurück in die Sixties: Wie war das mit deiner Selbstfindung, deinem Selbstverständnis, deiner Entwicklung? Als die sechziger Jahre zu Ende gingen, warst du schon einigermaßen erwachsen, zumindest körperlich. Damals hat man ja noch erwartet, daß die Menschen mit Mitte zwanzig so langsam heiraten und anfangen, Kinder zu kriegen.
Also mich hat niemand dazu gedrängelt.
Aber zumindest gab es die Erwartung: Man ist mit Mitte zwanzig erwachsen.
Das war nie das Problem, weil ich ja studiert und sozusagen die ganzen Jahre rumgebummelt habe. Statt in der Uni zu sitzen, bin ich abends tanzen gegangen oder ins Kino. Und habe eben ab und zu einen Film gedreht oder daran gedacht. An mehr erinnere ich mich nicht aus jenen Jahren. Ich kann dir gar keine konkreten Sachen erzählen, weil das einfach nicht mehr in meinem Bewußtsein ist. Ich empfinde das so, als sollte ich etwas über einen ganz fremden Menschen erzählen.
Also hat die zweite Hälfte der sechziger Jahre wenig Eindruck hinterlassen?
Das kann man auch nicht sagen. Aber dadurch, daß ich diese Unsicherheit überwunden habe, dieses ewige Gefühl der Peinlichkeit, die Angst, daß dich jemand „schwul“ nennt – dadurch, daß ich das alles hinter mir gelassen habe, bin ich jetzt ein anderer Mensch. Der kann sich vielleicht mit Mitleid oder mit Verachtung diesem früheren Ich widmen. Aber ich habe gar keine Lust dazu. Ich bedaure nichts, was ich gemacht habe, aber es bringt mir nichts, genüßlich zu verweilen in den schönen Zeiten oder so.
Das muß ja nicht nur Nostalgie, das kann auch Reflexion sein.
Was soll ich denn da reflektieren? Ich weiß, wo meine Ängste herkommen, und das läßt sich nicht mehr ändern.
Du warst ja nie besonders politisch engagiert?
Nein, überhaupt nicht! Wozu auch?
Nach heutiger Vorstellung waren spätestens ab 1967 alle permanent mit Demonstrieren beschäftigt, und hinterher gab’s Drogen und Gruppensex.
Aber alles ohne mich. Das war keine bewußte Verweigerung, sondern es war mir nie ein Bedürfnis, Drogen zu nehmen. Ich war auch so glücklich. Und es war mir kein Bedürfnis, solche Gruppenerlebnisse zu haben oder zu randalieren. Obwohl ich ja genug Leute um mich herum hatte, die politisiert waren oder gekifft haben. Ein einziges Mal habe ich gezogen an so ’nem Zeug, danach hatte ich wochenlang Halluzinationen, das hat mir gereicht. Ich habe nie Interesse gehabt, die Kontrolle zu verlieren. Ich war immer froh, wenn ich alles – so gut wie möglich – rational einordnen konnte und verstanden habe, meinen Alltag abzuwickeln. Ich war immer froh, wenn ich existieren konnte, ohne daß mir jemand am Zeug flickt. Und die Filme habe ich nie gemacht, um in der Öffentlichkeit erkannt zu werden oder so, sondern das war einfach eine Begleiterscheinung der Freude am Filmemachen. Auch als Journalist hab ich nie versucht, herauszuragen oder aufzufallen. Ich hatte im Gegenteil das Bedürfnis, unauffällig zu funktionieren – das ist letzten Endes bis heute so geblieben. Vielleicht ist das die Konstante zwischen meiner Jugend und heute. Wobei das Auffallen früher eben mit Angst verbunden war, jetzt mit Spaß oder Ironie oder was auch immer. Aber es stellt keine entscheidende Steigerung meiner Lebensqualität dar, bekannt zu sein oder erkannt zu werden.
Dafür hast du aber relativ auffällige Filme gemacht.
Am Anfang war ich auch geprägt von meinem Filmpartner Wolfram Zobus, dessen Credo lautete: Es muß gefickt werden, es muß was passieren in den Filmen.
Wolfram Zobus, Lothar Lambert 1973 in „Ein Schuß Sehnsucht – Sein Kampf“
Aber selbst „Die Alptraumfrau“, an dem Zobus nur als Nebendarsteller mitgewirkt hat, ist doch noch – für die damalige Zeit – „auffällig“.
Ich sag ja: Ich bin beeinflußt von Zobus’ Meinung. Bis heute. Das ist so: Wenn man kein Geld hat, keiner auf die Filme wartet, keiner die Filme will, muß man irgendwas bieten, das die Aufmerksamkeit eines eventuellen Publikums fesseln kann. Das geht am leichtesten mit sexuellem Kram, solche Sachen sind ja auch am leichtesten zu drehen. Außerdem kann man davon ausgehen, daß sexuelles Interesse völkerverbindend ist, da gibt’s letzten Endes keine Verständigungsschwierigkeiten.
Da hattest du aber keine Scham – nicht, „sexuellen Kram“ zu spielen, nicht, ihn zu inszenieren?
Doch. In „Ein Schuß Sehnsucht – Sein Kampf“, wo ich die Hauptrolle spiele, wird das ja thematisiert, wo ich am Nacktbadestrand meine Badehose anbehalte. Ich habe mich immer gewundert, wie Leute das schaffen, nackt vor der Kamera zu agieren – ich habe nicht dazugehört.
Ich erinnere mich aber an Sexszenen mit dir aus „1 Berlin-Harlem“...
Wozu gibt es Hilfsmittel?
Für mich als Zuschauer ist es doch aber relativ gleichgültig, ob der Penis echt ist oder nur so aussieht. Stört dich nicht, was die Leute denken?
Solange das Fake ist, macht’s mir nichts aus. Ich könnte auch einen Nacktanzug anziehen. Aber wirklich nackt zu sein, ist mir einfach körperlich unangenehm. Ich betrachte mich selbst auch nicht nackt und ich gehe nicht nackt ins Bett. Ich finde Nacktheit unattraktiv und anti-erotisch.
Dafür gab’s aber ziemlich viel Nacktheit in deinen Filmen. Oder war das schlicht der Zeitgeist?
Ich denke schon. Nackt zu sein, gehörte irgendwie dazu. Da war ich wieder der Außenseiter.
Weil du nicht nackt sein wolltest? Und auch nicht beim Gruppensex mitmachen?
Welchem Gruppensex?
Nun ja, wenn man Mitte zwanzig ist, die Hormone sprießen, man ist neugierig...
Da war ich nicht neugierig.
Experimentierfreudig.
Auch nicht experimentierfreudig. Das kam erst später, so in Richtung vierzig. Mit Mitte zwanzig war für mich einfach das Normale, einen festen Freund zu haben und, weil ich gemerkt habe, daß das zu wenig ist, nebenbei noch was.
Und das hat auch so funktioniert?
Das hat funktioniert.
Es gab aber nur selten die Versuchung, diese Herren vor die Kamera zu zerren?
Mein langjähriger Freund hat nie mitgespielt. Sonst wüßte ich gar nicht... Na ja, später in „Fucking City“, wo ich mich dann den Ausländern zugewandt hatte... Ja, da sind auch einige vor die Kamera gekommen.