Dagmar Beiersdorf, Stefan Menche
Fucking City
1981, 16 mm (1:1,33), s/w, 87 Min.
Regie, Buch, Kamera, Ton, Schnitt, Produktion: Lothar Lambert.
Darsteller: Ulrike S., Stefan Menche, Lothar Lambert, Dagmar Beiersdorf, Turgut Karatekin, Erika Rabau, Dorothea Moritz, Mustafa Iskandarani, Hans Marquardt, Ayla Algan, Kwadwo Sarfo, Pia Lau, Robert Cutts, Renate Soleymany u.a.
Um den Gebrauch des „F-Wortes“ zu vermeiden, firmierte der Film insbesondere in Nordamerika auch unter dem Titel „Verdammte Stadt“.
Kurzinhalt
Vier Durchschnittsexistenzen auf der zunehmend verzweifelten Suche nach Liebe und sexueller Erfüllung im Großstadtdschungel (West-) Berlin: Ein Ehepaar, dessen männliche Hälfte sich für seine Frau nur noch interessiert, wenn sie sich – widerwillig – vor seiner Schmalfilmkamera für Privatpornos produziert, am besten mit anderen Männern. Ihr schwuler Kollege, der Befriedigung durch immer neue Sexualpartner sucht, und dessen aus etwas naive Schwester, die aus der Provinz angereist kommt.
Inhalt (ENTHÄLT SPOILER)
Hinter Eisenfachwerk fährt die Kamera, auf die Stadt schauend, immer höher (Blick aus dem Fahrstuhl des Berliner Funkturms). Dazu hört man die Werbeschallplatte eines Möbelhauses, welches die gute, alte Zeit beschwört und vor allem die Gemütlichkeit. [weiter]
Lothar Lambert erinnert sich (2009)
Bei „Fucking City“ hatte ich zunächst daran gedacht, die Geschichte zweier junger Ausländer in Berlin zu erzählen, eines eher braven, naiven, der an den Verhältnissen kaputtgeht, und eines frechen, der sich überall durchschlängelt. Das waren so Kopfgeburten, die sich bei dem Versuch, sie umzusetzen, als zu anstrengend erwiesen und als zu riskant. Das sind ja prekäre Themen – nichts, was man einfach so mit links machen könnte. Man hätte erstmal Ausländer finden müssen, die bereit gewesen wären, so etwas zu spielen, und keine Angst gehabt hätten, daß man sie mit der Rolle in so einem halbdokumentarisch aussehenden Film womöglich identifiziert. Und dann hätten die beiden Jungs die Geschichte tragen müssen und ich hab niemanden entdeckt, den ich so gut fand, daß es gereicht hätte, wenn Leute wie Ulrike S. und Stefan Menche nur so kleine Nebenrollen spielen, wie es ursprünglich beabsichtigt hatte. Also hab ich lieber diese Nebenrollen ins Zentrum gerückt. Sonst bin ich ja meist von bestimmten Menschen fasziniert und baue dann einen Film um sie. Hier war es eher das Milieu, das mich fasziniert hat, mit verschiedenen Leuten drin, aber niemandem, der zwingend eine bestimmte Geschichte erfordert hätte. Und das Milieu ist ja zum Teil drin geblieben. Wir haben auch auf dem Türkischen Basar im damals stillgelegten Hochbahnhof Bülowstraße gedreht, das war einfach ein faszinierender Ort, an dem unsere Clique öfter war. Stefan wohnte gleich nebenan, an der Potsdamer Straße, und mit Ausländern hatte ich auch privat zu tun. Die Begegnung des von Ulrike und Stefan gespielten Ehepaars in „Fucking City“ mit den beiden jungen Orientalen ist daher kein Zufall, aber kein Relikt der ursprünglichen Geschichte. Die hatte ich schon vor Beginn der Dreharbeiten verworfen. Wenn man einen Film machen will, hat man ja mehrere Ausgangsideen gleichzeitig. Und das Angenehme an meiner Art zu filmen ist, daß man keinen Drehplan hat und kein Zeitlimit. Manchmal erstrecken sich die Dreharbeiten über ein halbes Jahr, und währenddessen verändert sich die Filmhandlung, es kommen neue Leute hinzu, neue Impulse, andere Sachen erweisen sich als zu schwierig in der Ausführung, als zu teuer, zu umständlich, zu langweilig. Ab einem gewissen Punkt hab ich oft das Gefühl gehabt, daß sich die Handlung selbst entwickelt und ich nur Zuschauer dabei bin, wie der Film gedeiht, nur zugucken kann, welche Richtung das jetzt nimmt. Es verselbständigt sich irgendwann.
„Fucking City“ ist mit nur einem Scheinwerfer gedreht worden, das verschafft dem Film einen gewissen „Caligari“-Touch, noch unterstützt durch das Schwarzweißmaterial und die harten Kontraste. Heute mit Video würdest du den Scheinwerfer gegen die Decke richten, das ergibt dann ein diffuses Allgemeinlicht. Das wäre vielleicht auch damals gegangen, aber ich hatte immer Interesse an kontrastreichen Bildern, Matschbilder mochte ich nicht. Wenn du im Kino womöglich einen lichtschwachen Projektor hast, bist du mit kontrastreichen Bildern mit Schlagschatten besser bedient. Viele Gedanken hab ich mir da allerdings nicht gemacht, ich bin ja kein Lichtkünstler. Ich hab mich später nur immer gewundert, wie lange Kameraleute brauchen, um ein banales Bild einzurichten, das nach stundenlangem Hin und Her auch nicht viel anders aussah, als wenn ich es gemacht hätte, mit nur einem Scheinwerfer. Die Kamera selbst zu führen, hat mir Spaß gemacht, außerdem war ich oft unzufrieden gewesen mit den Ausschnitten der Kameraleute. Ich hab einfach den Eindruck, daß ich ein natürliches Gefühl für Kadrierung besitze, nicht weit weg vom Harmoniegeschmack der Mehrheit. Dagegen viele Kameraleute… Entweder gehen sie meiner Meinung nach nicht nah genug heran oder sie haben andere Ambitionen, die sich in den Vordergrund drängen und manchmal sogar dem, was ich will, abträglich sind. Hans-Günther Bücking zum Beispiel, ein berühmter Kameramann, hat im „Sexten Sinn“ durch seinen Ehrgeiz, Kamerafahrten statt eines banalen Zooms zu benutzen, die Komödie verlangsamt. Ich konnte beim Schnitt kein Tempo reinbringen, sondern nur die Einstellung vorn und hinten abschneiden. Natürlich gibt es Filme, wo eine anspruchsvolle Bildästhetik wichtig ist. Aber wenn es sich um einen „kleinen“ Film handelt, in dem es um den Alltag in Berlin geht, und bei den Bildern merkst du, daß jedem Gegenstand und jeder Lichtstimmung am Himmel unheimliche Bedeutung beigemessen wurde, daß ausgeklügelte Perspektiven vorkommen, dann stört mich das eher. Szenische Auflösung hab ich natürlich erst lernen müssen, und bei den Filmen, die ich selbst photographiert habe, sind Großaufnahmen meine Stärke. In den frühen Arbeiten ist das anders, weil das die Kameraführung von Zobus war: Kamera hinstellen und abfilmen, was davor passiert, in einer Einstellung. Auflösung ist ja auch Luxus. Und dann war das der dokumentarische Touch, daß man einfach so lange dreht, wie die Leute nicht aus ihrer Rolle fallen und wie die Rolle in der Kamera reicht.
Die Kamera hab ich hier auch wieder selbst geführt, obwohl ich eine sehr viel größere Rolle hatte als in „Tiergarten“ oder „Die Alptraumfrau“. In der Szene mit Renate Soleymany zum Beispiel, wo ich ihren Pfleger spiele, habe ich die Kamera eingestellt, bin zu Renate ins Bild gegangen, habe gespielt, dann wieder zurück, die Kamera ausgestellt. Wir beide waren bei dem Dreh allein. Bei Szenen wie jenen in der Fleischerei hat sicher Dagmar die Kamera übernommen. Zur Not mußte das Gerät eben irgend jemand halten, der gerade in der Nähe war und nichts anderes zu tun hatte. In „Die Alptraumfrau“ gibt es eine Einstellung, da hat Dagmar viel zu viel Platz über meinem Kopf gelassen, so daß ich irgendwo unten am Bildrand hänge – das ärgert mich jedes Mal, wenn ich den Film sehe. Das waren eben so Notlösungen. Und das alles mit kostbarem Filmmaterial, bei dem es besonders schlimm war, wenn etwas schief ging, anders als heutzutage mit Video: Man hat den Fehler viel später, erst beim Ansehen der Muster, bemerkt und konnte nicht in jedem Fall nachdrehen.
Die Dreharbeiten zu diesem Undergroundfilm im Film, wo Hans Marquardt den Regisseur spielt, haben wir in der Lietzenburger Straße gemacht. Da war ein ehemaliges Krankenhaus übernommen worden von der Hochschule der Künste, und da war noch der Sezierraum. Die Parkanlage, wo Stefan Menche Dagmar Beiersdorf bedrängt, ist an der Koenigsalleebrücke in Grunewald, zwischen Koenigssee und Herthasee. An der Brücke stehen diese Sphinxen, die man auch am Ende von „Nachtvorstellungen“ sieht.
Irgendein Kritiker hat „Fucking City“ mit „Szenen einer Ehe“ verglichen. Ganz so ernst hab ich es natürlich nicht gemeint. Ich spiele ja in dem Film eine richtige Buffofigur, Tuntenparodie vom Gröbsten. Das sind ja skurrile Momente, die sehr ablenken von der Tragik des Ehepaares. Ich hab mich hinterher selbst gewundert, wie hemmungslos ich da die Sau rausgelassen hab. Und daß nie jemand gesagt hat: Was ich mir da leiste an Tuntenklischee, das zerstört den Film. Als Kritiker hätte ich so argumentiert. Ich hab auch nie wieder so extrem… – also, das war ein Ausrutscher! Selbst in „In Haßliebe Lola“, wo meine Darstellung auch ein wenig karikierend und albern sein soll, bin ich nicht so penetrant und widerlich wie in „Fucking City“.
Kritische Anmerkungen
„Fucking City“ ist eines der wichtigsten und besten Werke Lothar Lamberts. Mit der Faszination und weiteren Wirkung des Kinos beschäftigte er sich immer wieder, doch in keinem anderen Streifen tat er es so umfassend und radikal wie in diesem. „Fucking City“ ist jene Auseinandersetzung mit dem eigenen Metier, welcher viele bedeutende Filmemacher mindestens ein Werk widmeten. Im vorliegenden Falle diente als deutlichste Inspirationsquelle wohl Michael Powells lange – auch noch zu jener Zeit, als „Fucking City“ entstand – verfemtes Meisterwerk „Peeping Tom“. In einer Szene (einem Film im Film) spielt Lambert ganz direkt auf „Peeping Tom“ an, führt den dort verfolgten Gedanken aber weiter: Statt als Mordinstrument soll ein Stativbein hier zur Penetration eingesetzt werden. Wie jener Rüdiger Meyer – ein Name, der in „Fräulein Berlin“ und „Drama in Blond“ abermals für einen Filmemacher benutzt wird – auch seine Schmalfilmkamera immer wieder mehr oder minder deutlich als Penisersatz verwendet; bezeichnenderweise plagen den Hobbyfilmer Potenzprobleme. Darüber hinaus mag man in der Art, wie Rüdiger allen voran seine widerwillige Frau Helga ein ums andere Mal dazu drängt, vor der Kamera zu agieren, eine Anspielung auf den gelegentlich gegen Lambert vorgebrachten Vorwurf erkennen, er würde seine Laiendarsteller ausbeuten. Helga – die wie manche von Lamberts Akteuren im Nachhinein Bedenken äußert, wozu sie sich bei den Dreharbeiten habe hinreißen lassen – setzt sich gegen die Zumutungen ihres Mannes mehrfach auf ebenso simple wie wirksame Weise zur Wehr: Sie lacht über seine Filmphantasien.
Ursprünglich hatte Lambert daran gedacht, den Streifen um die Odyssee zweier junger Türken durch West-Berlin kreisen zu lassen. Stattdessen wurden schließlich – wie wenig später, in zumindest filmtechnisch gefälligerer Form, in „Paso doble“ – hauptsächlich die Probleme eines deutschen Ehepaares behandelt: Die Träume, Frustrationen und Auseinandersetzungen mutmaßlicher Mittdreißiger, die sich – ganz dem Zeitgeist verpflichtet – ungelenk in einer sexuellen Befreiung versuchen, welche längst auch zum Zwang und zur Last geworden ist, und dies noch vor dem Bekanntwerden von Aids. Dadurch, daß die Ausländer und ihre Nöte nicht mehr im Mittelpunkt stehen, wird der Titel des Films zur allgemeineren und damit heftigeren Aussage: An der „verdammten Stadt“ gehen nun nicht mehr einige Außenseiter zugrunde, sondern Durchschnittsdeutsche, nach außen hin ganz harmlose Kleinbürger, ohne allzu große finanzielle, aber mit akuten emotionalen Problemen – die dominierende und letztlich den Staat stabilisierende Schicht der alten Bundesrepublik, bevor nach 1990 von den herrschenden Kreisen eine allgemeine Verluderung der Sitten eingeleitet wurde. „Fucking City“ schaut in die Abgründe hinter den Fassaden der „Stinknormalen“ – ein gern bemühtes Klischee, doch selten so schonungslos und dadurch atemberaubend umgesetzt wie hier.
Ungewöhnlich ist auch, wie direkt, bissig und daher treffend Lambert in „Fucking City“ jene Form des Filmemachens, die er meist betrieben hat, thematisiert und ironisiert: mit ganz wenig Geld und dementsprechend notgedrungen improvisierend, mit Laien, dicht an der Wirklichkeit. Zu Rüdiger Meyers Aktionen und Ambitionen gesellen sich hier noch die bizarren Dreharbeiten für einen auf Schock und Skandal gebürsteten Undergroundfilm – letzterer in Kontrast zu Lamberts Schaffen, das unappetitliche Details, dem braven Bürger bizarr Erscheinendes, zwar häufig zeigte, jedoch nicht als Selbstzweck, sondern eines ehrlichen Blicks auf die Realität wegen (was oft mißverstanden wurde).
Wie schon in „Die Alptraumfrau“ wird die Tonspur teils als von den Bildern unabhängiges Gestaltungselement behandelt, beginnen Monologe oder Dialoge vor Szenen oder enden nach ihnen, ist in Wortwechseln oft nicht der Sprecher, sondern der Angesprochene zu sehen, werden im Off Briefe verlesen und auf diese Weise nicht nur Gedanken wiedergegeben, sondern auch die Handlung gerafft. Weitere aus Lamberts Schaffen bekannte und bewährte Mittel und Motive sind Rummelplatzimpressionen, Orientalen und Schwarze als Objekte sexuellen Interesses, das prüfende Posieren vor dem Spiegel oder auch der Tanz vor diesem oder zum Zwecke der Verführung. Schließlich Sex, wie er in „Fucking City“ in einer Darstellung zu finden ist, die als mustergültig für Lamberts Gesamtwerk betrachtet werden kann: Schnell und unbefriedigend, Rüdiger reagiert auf Helgas Annäherungs- und Verführungsversuche, indem er sich dazu aufrafft, sich auf sie zu legen – ihren Unterrock hochgeschoben, sich selbst noch ein wenig masturbiert, der eigentliche „Akt“ dauert dann nur wenige Sekunden, die Frau läßt es geschehen, genervt, gelangweilt, gepeinigt, in ihren Gefühlen verletzt und all ihrer Hoffnungen beraubt.
Im Dreh mit einfachsten Mitteln längst geübt, erzielte Lambert damit bei diesem bitteren Großstadtdrama eine außerordentlich starke Wirkung: Die oft offenkundig nur von einem Scheinwerfer beleuchteten Szenerien, die zuweilen unterbelichtet wirkenden Bilder lassen die Innenaufnahmen düster und bedrückend erscheinen. Allen voran private Räume, Wohnzimmer, wirken nicht als vertrauenerweckende Bereiche und passende Schauplätze für Intimitäten, sondern als unheimliche, unwirtliche Höhlen, in denen Sex nur in Gewalt und Enttäuschungen enden kann.
Entsprechend endet der Film, manch Momenten von Komik zum Trotz: Lauter Niederlagen und Katastrophen. Und das, nachdem alle sich so – zunehmend verzweifelt – nach Liebe und Glück, Zärtlichkeit und sexueller wie emotioneller Erfüllung gesehnt haben, danach gejagt haben. Selig werden kann niemand in der „Fucking City“.
Ohne dieses bittere, radikale Großstadtdrama ist jede Berlin-Film-Reihe unvollständig.
J.G.
Keine Fälschung: „Fucking City“ erlebte seine Erstaufführung unter anderem im altehrwürdigen (Ende 2011 geschlossenen) Berliner Filmkunsthaus „Die Kurbel“.
Der Kritiker der New Yorker „Village Voice“ Jim Hoberman setzte „Fucking City“ auf seiner Liste der besten Filme des Jahres 1982 auf Platz 7.