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Karl, Heidegunde 

 

Kurzschluß

1971, 16 mm (1:1,33), s/w, 18 Min.

Regie, Buch, Ton: Lothar Lambert, Wolfram Zobus. Kamera: Wolfram Zobus. Schnitt: Helga Schnurre. Produktion: Lothar Lambert.

Darsteller: Heidegunde, Karl (Lambert: „Die Nachnamen weiß ich nicht mehr.“).

  

Kurzinhalt

Szenen aus dem Alltag eines älteren Unterschichtpaares im Berliner Stadtteil Wedding. Die durch Zwischentitel gegliederten Impressionen und ebenso stummen Spielszenen werden ergänzt durch einen aus dem Off zu hörenden Dialog zwischen der Frau, die insbesondere über ihr Leben, ihre Leiden und ihre Beziehungsprobleme berichtet, und einem anonym bleibenden Fragensteller.

 

Inhalt (ENTHÄLT SPOILER)

Die gesamte Handlung wird durch einfache Zwischentitel unterteilt. „Die Straße“: Zu Orgelmusik sieht man Alltagsimpressionen von tristen Straßen, Hinterhöfen, der Berliner Mauer. [weiter]

 

Lothar Lambert erinnert sich (2009)

Wolfram Zobus und ich studierten zusammen, und er wohnte über mir, im Hinterhaus der Liesenstraße 10. Unsere Nachbarn sind in dem Film zu sehen, und das Pärchen, das im Erdgeschoß wohnte, spielte die Hauptrollen. Die dramatische Entwicklung war natürlich Fiktion, aber grundsätzlich wurde die Handlung von ihrem Dasein inspiriert. Was sie so reden, ihre sozialen Probleme, das ist ziemlich authentisch. Der Gesprächspartner aus dem Off ist Zobus. Der hatte den engeren Kontakt, hatte wahrscheinlich vorher schon mal den Kassettenrekorder mitlaufen lassen. Die beiden haben ja gern getrunken, und er war auch nicht abgeneigt, da mitzuhalten. So entstand natürlich Vertrauen.

Das Haus ist später abgerissen worden. Ich bin da schon nach einem Jahr wieder ausgezogen. Es war meine erste eigene Wohnung gewesen, mit Außenklo, und weil meine Eltern die ganz schrecklich fanden, haben sie mir in Grunewald eine Mini-Eigentumswohnung gekauft, in einem ehemaligen Hotel, das gerade umgebaut wurde. Da habe ich dann zwanzig Jahre auf vierundzwanzig Quadratmetern gelebt, aber in luxuriöser Umgebung.

Das Negativ von „Kurzschluß“ lag in Tempelhof auf dem Gelände, wo seit den frühen Achtzigern die alternative Ufa-Fabrik ist. Das Kopierwerk wurde aufgelöst, und es stellte sich heraus, daß dort von dem Film nichts mehr vorhanden war außer der Karteikarte. Ich habe dann 1982 von der einzigen Kopie – nachdem ich ein paar besonders brüchige Stellen herausgeschnitten hatte – ein neues Negativ ziehen lassen. Dasselbe gilt für „Ex und hopp“.  

 

Kritische Anmerkungen

Lothar Lamberts erster Film ist – zusammen mit seinem anfänglichen Kompagnon Wolfram Zobus – aus seiner persönlichen Lebenssituation bzw. der Bekanntschaft mit ihn interessierenden Menschen heraus entstanden und nicht nur damit bereits typisch für das Schaffen des Regisseurs: Seine und Zobus’ Nachbarn stellen sich mehr oder minder selbst dar, wobei dokumentarische und fiktionale Elemente miteinander vermischt werden. Diese Protagonisten stehen am Rand der Gesellschaft, sind – mindestens – in psychischer Hinsicht mühselig und beladen, haben ferner soziale Probleme, bewegen sich anscheinend nahe am Subproletariat. Das Umfeld, in welchem sie agieren, sieht entsprechend aus: Ein verfallener Altbau in einem Viertel voll ähnlicher Mietskasernen, die teilweise gerade der Kahlschlagsanierung anheimfallen (der Berliner Stadtteil Gesundbrunnen, zum damaligen Bezirk Wedding gehörig), welche zu einer apokalyptisch anmutenden Stadtlandschaft führt, die aussieht wie unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg.

Beziehungsprobleme sind ein weiterer wichtiger Aspekt der Handlung: Eine Hauptfigur sieht ihre Liebe – oder zumindest ihr Bedürfnis nach Nähe und Zweisamkeit – nicht befriedigt durch eine andere, welche beziehungsunfähig wirkt, wankelmütig oder schlicht gefühlskalt. Für eine der Figuren endet das Geschehen tödlich – bis einschließlich „Fucking City“ gibt es in jedem Lambert-Film  wenigstens einen Todesfall. Wie „Kurzschluß“ durch Zwischentitel quasi in Kapitel gegliedert wird, auch das findet sich später in diversen Werken wieder, zumindest ein einleitendes Zitat gibt es bei den meisten Fällen, und auch zu Lamberts Episodenfilmen mag man hier eine Verbindung erkennen.

Typisch für die frühen Lambert-Werke bis einschließlich „Fräulein Berlin“ sind schließlich die „rauhen“, „schmutzigen“, durch Kameraführung, Beleuchtung, Belichtung und verwendetes Material eher amateurhaft, daher aber auch sehr authentisch wirkenden (Schwarzweiß-) Bilder, lange Einstellungen und der nur bedingt mit den Bildern in Zusammenhang stehende Ton. Allerdings wird insbesondere mit der Kombination von Alltagsimpressionen auf Straßen und Hinterhöfen mit Orgelklängen in den ersten Sequenzen von „Kurzschluß“ eine poetisch anmutende Stimmung geschaffen, wie man sie später bei Lambert nicht mehr findet.

J.G.