Stefan Menche, Dennis Buczma
Verbieten verboten
Inhalt (ENTHÄLT SPOILER)
Vorspruch: „Ist der Ruf erst ruiniert, filmt sich’s völlig ungeniert. Variation eines deutschen Sprichworts“ Von der starren Fahne mit dem Logo der West-Berliner 750-Jahr-Feier 1987, welche eine Plakatstellwand bekrönt, schwenkt die Kamera hinab auf eine Person mit einem Bündel, die auf dem Pflaster davor liegt. Dazwischen die Titel. Von der anderen Seite der Straße (Kantstraße) aus fährt die Kamera von der Plakatwand zurück (Blick aus dem Theater des Westens). Im Hintergrund ein gemauertes Eisenbahnviadukt, über das gerade ein Zug fährt (Stadtbahn). Die Kamera schwenkt über weitere Schautafeln, betitelt: „Erneuerung“ und „Totentanz“. Dann wieder zurück auf „Erneuerung“. Noch einmal die Stellwand mit der schlafenden oder bewußtlosen Person davor. Zwischentitel: „Zum Peepen! (Prolog)“ Detailaufnahme einer repräsentativen Fassade (Theater des Westens) und des Theaterplakats „Cabaret“. Davor treffen sich zwei Frauen mittleren Alters, Nachbarinnen. Die eine ist schwerhörig, und auch sonst entwickelt sich der Dialog voller, teils schlüpfriger Mißverständnisse. Unterhält man sich zunächst über das Musical, so kommt man bald auf das Treiben in dem auf der anderen Straßenseite, vor dem Viadukt befindlichen Flachbau, der eine Peepshow beherbergt. Die jüngere Frau – ursprünglich aus Hodenhagen – ist neugierig und unbefangen, die schwerhörige hat eine sittenstrenge Meinung über das Treiben in diesem „Schandfleck für unsere Stadt“, der abgerissen gehört, wie ihr oft von ihr zitierter Mann meint. Das rege Rein und Raus wird durch zahlreiche Gegenschüsse auf das Etablissement gezeigt. Zwischendurch beobachtet ein südländisch aussehender, schnauzbärtiger Mann die beiden Frauen und versucht, mit der jüngeren zu flirten. Die schwerhörige weiß: „Mein Mann sagt: Wer da hin geht, der kriegt auch Aids!“ Womit das Gespräch auf diese Krankheit kommt und auf die Frage, wie diese – insbesondere in der Peepshow – übertragen werden könne. Die jüngere Frau kann auch schon einen Fleck auf der Brust präsentieren, von der die andere meint: „Das ist bestimmt bösartig!“ Die schwerhörige lobt, gerade angesichts von Aids, ihren Mann, der treu sei und auf den sie sich „voll und ganz verlassen“ könne. Die andere entdeckt den so gepriesenen Gatten, wie er gerade die Peepshow betritt. Dessen Frau fängt sich schnell wieder und verkündet ihrer Nachbarin dann selbstbewußt: „Na und? Mein Mann sagt immer: Einmal ist keinmal!“ Die andere zwinkert in die Kamera. Zwischentitel: „Abbild eines unbekannten Babies: unscharf“ Ein bezopfter Mann bittet eine junge Frau in den „Therapieraum“. Der Therapeut zeigt sich besorgt über den Zustand der Patientin. Diese erklärt, sie komme mit ihrer Frauenrolle nicht zurecht, fühle sich asexuell, fürchte, durch „die Pillen fett zu werden“. Sie habe die Tabletten aber auch nicht genommen, „weil ich finde, daß mich das Zeug einfach nicht weiterbringt“. Sie findet: „Sie wollen mich doch im Grunde genommen nur auf meine Rolle fixieren. (…) Irgendwo sind Sie doch auch bloß so ’n mieser Kleinbürger.“ Die Frau zeigt sich ratlos, fast verzweifelt, Männern könne sie sich nicht nähern und auch männliche Annäherungen nicht ertragen. Der Therapeut fragt, ob es ein Schlüsselerlebnis gebe, das sie noch nicht behandelt hätten. Die Frau beschimpft ihn und schubst seine Hand weg, die er beruhigend auf ihr Knie gelegt hat. „Wir werden heute mal einen neuen Weg gehen“, kündigt er an und verläßt den Raum. Während er fort ist, überprüft sie ihr Make-up. Plötzlich kommt der Therapeut zurück, als Baby verkleidet (nackt bis auf ein Häubchen, eine Windel und seine Socken), lallt entsprechend, schreit „Mami“ und drängt sich der entsetzten bis verängstigten Frau auf. Mit den Worten „Du Scheiß-Baby, kriegt man dich denn nie tot?“ schlägt sie schließlich mit einem auf dem Couchtisch stehenden Kerzenleuchter auf den Mann ein, bis er blutend und regungslos liegen bleibt. Sie flüchtet entsetzt, läßt aber ein Bild zurück. Der Therapeut öffnet die Augen, der Schnuller fällt ihm aus dem Mund. Im Gegenschuß sieht man: Das Bild ist das Photo eines Babys. Zwischentitel: „Vorfreude ist immer am schönsten“ Vor etwas Grün sitzt ein Mann mittleren Alters. Ein anderer kommt vorbei und setzt sich, nachdem er um Erlaubnis gefragt hat, neben ihn, liest ein Buch. Der erste erkundigt sich nach dessen Inhalt. Antwort: „Berliner Boys.“ Der andere stellt, nach einem Blick in das Buch, fest: „Lauter Kerle!“ Obwohl der erste, der sich als Jugoslawe entpuppt, seine Heterosexualität bekundet, werden sich die beiden schnell einig: Er soll bei dem Buchbesitzer „in zwei Stündchen“ mal vorbeikommen. Man müsse sich eben etwas einfallen lassen. Vor dem Spiegel richtet sich der Gastgeber her, schließlich sieht man ihn, wie er – notdürftig als Frau verkleidet, mit Blume in der Langhaarperücke – auf dem Balkon nach dem anderen Ausschau hält. Er blickt zunehmend enttäuscht, geht schließlich in die Parterrewohnung zurück, setzt sich hin, legt den Gürtel ab, schiebt den Rock vom Bauchansatz herunter, nimmt die Perücke ab, wirft die Blume weg, wischt den Lippenstift ab. Es läutet Sturm. Der Mann zieht ein Hemd über, zögert, zieht seine Hose an. In der Balkontür erscheint der Jugoslawe, nun gar nicht mehr so kerlig wie zuvor, sondern ohne Schnauzbart und als Frau verkleidet, fröhlich mit verstellter Stimme flötend: Er sei noch beim Friseur gewesen, das habe so lange gedauert. Der Gastgeber blickt entgeistert, setzt die Brille auf, schubst den anderen aus der Tür und schließt diese nach einer kurzen Rangelei. Er bekreuzigt sich und zieht ab mit einem tuntigen „Pe!“ Zwischentitel: „Selten so gelacht“ Eine dünne Frau mit Hut, in der linken Hand einige prall gefüllte Plastiktüten, in der anderen einen Gehstock, auf den sie sich stützt. Bis zum Schluß der Episode sieht man sie nur von hinten oder von der Seite, ist ihr Gesicht nicht richtig zu erkennen. Während sie über Innenstadtstraßen läuft, berichtet sie aus dem Off von einer unangenehmen Begegnung mit einem Mann. Um sich aufzuheitern, sei sie dann zum Kurfürstendamm gegangen, habe dort einen schönen Musiker getroffen und mit ihm zwei Tage in seinem Wohnwagen verbracht. Man sieht die Frau an einem solchen Gefährt, sie wird abgewiesen. Anschließend sei sie zum Wannsee gefahren (man sieht sie dort), und als sie nicht gewußt habe, wie sie mittellos mitten in der Nacht zurück in die Stadt kommen sollte, habe sie einfach die Feuerwehr gerufen. Man sieht die Frau vor dem Schloß Charlottenburg, am Denkmal des Großen Kurfürsten. Die Feuerwehr habe sie nach einigem Gezeter zurückgebracht, denn „die Klapse nimmt uns dit nich ab“! Ratlos habe sie sich dann aber doch in die Nervenklinik begeben und dort als suizidgefährdet ausgegeben. Bilder von leeren Krankenhausbetten, vom Kleistgrab, wieder vom Schloß. Dann habe sie telephonisch auf eine Anzeige in der Rubik „Lonely Hearts“ im Stadtmagazin „Tip“ geantwortet, der Herr entpuppte sich aber als Gefängniswärter, ein weiterer legte ein eigenwilliges Benehmen an den Tag. Also flüchtete sie wieder zum Ku’damm, dann ins Sozialamt. Sie badet einen Fuß in einem Brunnen. Dort habe sie, die Obdachlose, eine Adresse und fünfzig Mark bekommen, die aber schnell weggewesen wären für Zigaretten und Kaffee. Sie stochert in Mülltonnen. Nun wisse sie „jar nich mehr, wohin“, und wo kriege sie „den Mann fürt Leben her“. Sie schildert ihre romantische Phantasie und ihre sexuellen Wünsche. Sie betrachtet eine moderne Skulptur, beklagt die Behandlung in der Psychiatrie. Vom Schloß Charlottenburg geht sie auf eine Brücke (Schloßbrücke im Zuge des Tegeler Wegs), an das Geländer, blickt hinunter. Sie sagt: „Aber ick habe schon soviel mieset erlebt, daß ick selbst nich mal in meinen Träumen mehr dit Schöne erleben kann.“ Die Kamera zeigt erstmals ihr Gesicht. Sie lacht schrill. Die Kamera schwenkt hin und her. Die Frau ruft: „Es lebe das Leben und die Männer!“ Die Kamera schwenkt hin und her und bewegt sich dann auf ein Gitter unter der Brücke zu. Schließlich sieht man die Frau neben diesem liegen. Zwei Passanten steigen achtlos über sie hinweg. Zwischentitel: „Noch vorführbar?“ Zwei junge Frauen kommen in einen Schneideraum. Die eine führt eine Filmspule mit sich, welche sie in den Schneidetisch einlegt, die andere ist neu in dem Metier. Sie beginnen, den Film zu betrachten. Man prüft, ob die Kopie noch vorführbar wäre. Der Film ist nie zu sehen, man sieht nur die Frauen, gelegentliche Zwischenschnitte auf den Schneidetisch, Regale, hört dazu den Ton des Films, bei dem es sich offenbar um einen pornographischen handelt. Der Neuen wird schnell warm, sie beginnt, sich freizumachen. Im Gegensatz zu ihr zeigt sich die andere wenig beeindruckt, auch nicht, als die Neue Annäherungsversuche macht. Die Erfahrene unterbricht, um ein schadhaftes Stück aus der Kopie herauszuschneiden. Die Neue entkleidet sich weiter. Als sie wieder – wortlos – zudringlich wird, weist die andere sie zurecht: „Entweder wir gucken hier den Film oder wir unterhalten uns!“ Die Neue zeigt sich davon wenig beeindruckt und bedrängt sie so weit, bis beide zusammen von ihren Stühlen stürzen. Der Film läuft von der Spule. Man hört laute Lustschreie. Zwischentitel: „Zweimal Wahrheit und zurück“ Ein junger Mann, eine junge Frau und ein kleines Mädchen an einem Kaffeetisch. Die Erwachsenen haben offenbar ein erstes Rendezvous miteinander, veranlaßt durch eine Kontaktanzeige, die Frau gibt ihrer Tochter immer wieder Anweisungen auf französisch. Der Mann stellt sich vor als Mario Soldati aus der Poebene. Die Frau erklärt, sie habe „eigentlich einen deutschen Mann gesucht, einen richtig stämmigen, schönen, arischen, blauäugigen, gradlinigen, hübschen jungen Mann“, aber Marios Stimme habe am Telephon sehr sympathisch geklungen. Sie führt ihre Vorbehalte gegenüber Italienern und ihre Vorliebe für Deutsche aus. Der Mann kichert. Die Frau schlägt vor, „mal mit der Kleinen“ auf den Rummel zu gehen. Während sie dies sagt, sieht man schon Bilder von dem Mädchen auf einem Rummelplatz und von dem frischgebackenen Paar in einem Karussell. Das Mädchen sieht ihm zu und weint. Das Paar im Bett, es rangelt etwas miteinander. Sie entdeckt, daß er beschnitten ist, schließt daraus, daß er Türke ist und erklärt, Türken zu hassen, mit türkischen Männern nichts zu tun haben zu wollen: „Weil sie die Frauen unterdrücken!“ Sie läßt eine Tirade los, derweil er sie schüttelt und schließlich auch auf türkisch auf sie einredet. Am Ende antwortet sie auf türkisch, bestreitet aber hysterisch auf deutsch, Türkin zu sein. Sie schimpft weiter, er sagt kaum mehr etwas. Sie sprechen kurz türkisch miteinander. Die Tochter hört in ihrem Bett den lautstarken Streit. Südländische Männer tanzen auf einer Feier. Dazwischen die Frau. Zwischentitel: „Der Kuß der schwarzen Muse“ Ein Maler in seinem Atelier. Er wischt von der Leinwand, was er begonnen hat, betrachtet die Bilder um sich herum: Viele zeigen Uniformierte, dazwischen steht ein Skelett, mit einer Uniform behangen, einen Gummiknüppel zwischen den Zähnen. Der Maler auf der Straße. Er betrachtet ein Gemälde in einem Schaufenster. Neben einem Motorrad lehnt ein Schwarzer an einer Hauswand. Die beiden Männer nehmen Augenkontakt auf, beginnen ein Gespräch. Beide kommen in das Atelier des Malers. Dieser reicht dem Schwarzen Uniform und Gummiknüppel. In teilweise überbelichteten Bildern sieht man, wie der Schwarze, kostümiert, auf den fast nackten Maler einschlägt. Dazwischen Weißfilm. Am Ende liegt der Maler auf dem Boden, sein Gast hat einen Fuß auf seine Brust gestellt. Mit mehreren Pflastern im Gesicht malt der Künstler lächelnd ein neues Bild: der Schwarze, als Polizist, mit großem, hartem Penis. Zwischentitel: „Die Peep Show ist tot, es lebe die Peep Show! (Epilog)“ Skulpturen (in der Fassade des Theater des Westens), davor sitzt ein Mann mit einer Bierdose, rollt sich eine Zigarette. Ein anderer, ebenfalls vor der Fassade, beobachtet ihn dabei. Eine Frau kommt hinzu, begrüßt den zweiten. Dieser weist sie erst auf den anderen Typen hin, dann auf die – fortan immer wieder im Gegenschuß zu sehenden – Abrißarbeiten vis-à-vis, wo gerade der Flachbau mit der Peepshow abgerissen wird, „der besten, wunderbarsten in ganz Berlin“, wie der Mann meint, „zu dieser dummen 750-Jahrfeier (…), alle Nutten werden weggejagt, während hier“, er deutet auf das Theater hinter sich, „mit Millionensubventionen du als Superstarnutte umjubelt wirst“. Er habe soviel Spaß dort gehabt. Sie bezweifelt, daß dieser nur aus Kaffeetrinken und Pornosgucken bestanden habe. Er zeigt ihr ein Kondom, welches sie aufzublasen versucht. Bei ihrem Gespräch werden sie von dem Raucher beobachtet, zu dem der Mann auch immer wieder rüberschaut. Manchmal benutze er die Kondome auch nicht, „wenn ich besoffen bin und Drogen nehme“. Die Frau erklärt, das dürfe er nicht machen: „’n paar müssen uns doch noch erhalten bleiben. (…) Ich will auch nicht an deinem Grab irgendwann jetzt schon wieder stehen.“ Beide diskutieren über Liebe und Sex im Zeitalter von Aids. Sie fragt sich, ob der Raucher nicht eher etwas von ihr wolle. Der Mann meint: „Das sieht man doch: Das ist ein arbeitsloser, asozialer Schwuler. Das sind die nettesten.“ Und er zahle ja auch, vierhundert Mark. Man stellt fest, daß es wohl nie aufhöre „mit der Geilheit“. Die Frau findet, man könne sich da ja auch anders behelfen. Er erklärt, er masturbiere ja schon fünfmal am Tag, „es kommt schon gar nichts mehr raus“. Sie kommt auf die Plastiktüte zu sprechen, welche er mit sich führt. Er zeigt ihr, daß er darin unter anderem Schlaftabletten hat: „Falls ich mich mal umbringen will, muß ich die haben.“ Sie will ihm die Pillen wegnehmen, aber er holt sie sich zurück: „Die brauch ich als Sicherheit für die Verzweiflung.“ Er hat auch eine Zahnbürste dabei. Sie sprechen über die Möglichkeiten der Selbstbefriedigung. Sie fragt sich, ob er vielleicht eine Frau werden sollte. Er fürchtet, er wäre eine häßliche. Der Raucher ist aufgestanden und in ein auf der anderen Straßenseite noch verbliebenes Etablissement gegangen. Der Tütenträger will „das mal checken“, geht ebenfalls in das Lokal, signalisiert der Frau schließlich Erfolg und verschwindet winkend.